Vier Tage lang kein Telefon

Immer wieder nehme ich mir vor, meine Handyzeit zu reduzieren. Aber dann ist’s doch wieder vor meiner Nase. Zum Bezahlen, Navigieren, Schreiben und endlos Scrollen.

The Offline Club zu finden fühlte sich wie eine Erlösung an. Endlich. Vier Tage ohne Handy. Mit zwanzig anderen Menschen auf einem Bauernhof in Südfrankreich. Es gibt nur eine Regel während dem Retreat: das Handy bleibt weg gesperrt in einer Kiste. Keine Yogalektionen, keine definierte Schweigezeit. Einfach tun, worauf man Lust hat.

Am ersten Abend sitzen wir zusammen im Kreis auf dem Feld. Wir stellen uns einander vor. Eine Gruppe Menschen aus ganz Europa. Wir kommen aus Städten und Dörfen. Sind Männer und Frauen. Alt und jung. Das einzige was uns vereint ist der Entscheid vier Tage ohne Handy hier auf dem Bauernhof zu sein. Dieser Entscheid verbindet mehr als ich dachte.

Das Handy ist weg und wir sitzen im Kreis. Mit Lust auf Unterhaltung, die uns der Bildschirm nicht mehr bietet. Gespräche beginnen. Als die üblichen Nettigkeiten ausgetauscht sind ist der Abend noch nicht vorbei und es gibt keine Bildschirme die uns mit der weiten Welt verbinden. So konzentrieren wir uns auf das Jetzt. Auf einander. Wir hören zu. Erzählen selbst.

Am nächsten Tag ist plötzlich unerwartet viel Zeit. Ich gehe joggen vor dem Frühstück, schwätze bei Müesli und Kaffee, lese in meinem Buch, schreibe Tagebuch. Alles noch vor dem Mittagessen. Am Nachmittag schwimmen im Pool. Noch mehr lesen. Die Umgebung erkunden. Ich bin völlig im Jetzt. Ohne Meditation. Die Menschen, die Gestern noch Fremde waren sind nun Freunde. Weil sie wirklich nett sind und andere Menschen kann ich sowieso nicht erreichen.

Nach einer Weile werde ich melancholisch. Warum fühlt sich die Welt nicht immer so echt an? Warum sind wir nicht immer so verbunden miteiannder? Ich rede mit einer Frau, die nicht wie ich schon ihr ganzes Erwachsenenleben ein Handy hatte. „Was habt ihr denn während Zugfahrten gemacht?“ frage ich. „Wir haben einander gefragt, wo wir hin fahren und dann ein wenig geschwätzt“, sagte sie. Eigentlich ganz einfach. Jeder in einem Zug fährt irgendwohin und hat eine gute Geschichte dazu.

Ein paar Tage später sitze im Zug von Marmande nach Marseille. Der Platz neben mir ist noch frei. Ich bereite meine Frage vor: „Madame/Monsieur, où allez-vous ?“ Tatsächlich setzt sich nach dem nächsten Halt eine junge Frau neben mich. Kopfhörer auf den Ohren. Spiel auf dem Handy. Meine vorbereitete Frage bleibt ungenutzt. Ich lese die Zeitung, die ich in Marmande gekauft habe. Immerhin in dem Punkt reiste ich wie in den Neunziger-Jahren.

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